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Der Begriff anaerobe Schwelle (genauer: individuelle anaerobe SchwelleiANS; englisch: anaerobic threshold) ist ein Fachbegriff aus der Leistungsphysiologie. Er bezeichnet das Intensitätsniveau einer körperlichen Leistung (Verrichtung von Muskelarbeit), bei die Produktion von Laktat durch anaerobe Glykolyse noch gerade mit dem Laktatabbau in einem dynamischen Gleichgewicht steht.

Das Phänomen, auf das sich der Begriff bezieht, kann anschaulich so beschrieben werden:

Erbringt ein Sportler oder ein Arbeiter fortwährend Muskelarbeit, so wird die dafür erforderliche Energie ab einem bestimmten Leistungsniveau (50 - 70% der Leistung an der iANS) überwiegend über die sogenannte anaerobe Glykolyse mobilisiert. Bei dieser Form der Energiemobilisierung fällt als Stoffwechselzwischenprodukt in großen Mengen Laktat an.

Die Laktat-Konzentration stellt ein Fließgleichgewicht zwischen Bildung und Abbau des Laktats dar, wobei mit steigender Laktatproduktion auch bei Aufrechterhaltung des Gleichgewichts die Laktatkonzentration im Muskel und in der Folge im Blut kontinuierlich ansteigt. Man kann dies vergleichen mit dem Längerwerden einer Schlange an der Supermarktkasse: Auch wenn die Kassiererin dem steigenden Kundenaufkommen (= steigende Laktatproduktion) noch durch schnelleres Arbeiten (= schnellerer Laktatabbau) Herr wird, wird die Schlange (= Laktatkonzentration) dabei länger.

Ab einer bestimmten Laktatkonzentration ist der Organismus mit dem Abbau des Laktats überfordert. Es kommt zu einem plötzlichen starken Ansteigen der Laktatkonzentration.

Energiebereitstellung in Abhängigkeit von der Belastungsintensität[]

Je nach Belastungshöhe gewinnt der Körper die umzusetzende Energie aus verschiedenen Quellen. Es werden vier Arten der Energiebereitstellung unterschieden. In Bezug auf die anaerobe Schwelle können wir drei Situationen unterscheiden:

  • Bei einer Belastung unterhalb der anaeroben Schwelle läuft die Energiebereitstellung zwar nicht ausschließlich unter Verstoffwechselung von Sauerstoff, also aerob ab, doch ist der Anteil der anaeroben Verstoffwechselung noch auf einem Niveau, dass der „steady state“ (vgl. oben) aufrechterhalten werden kann. Eine Ausdauerleistung kann hier sehr lange aufrechterhalten werden, z.B. bei einem Marathonlauf.
  • Eine Belastung an der anaeroben Schwelle ist die relativ höchste Belastung, die langfristig (d.h. auf Distanzen von 5 bis 30 min) durchgehalten werden kann.
  • Bei einer Belastung oberhalb der anaeroben Schwelle erfolgt die Energiebereitstellung überwiegend anaerob. Es kommt zum oben beschriebenen sprunghaften Laktatanstieg. Da Laktat die Enzyme der aeroben Stoffwechselprozesse sehr stark hemmt, kann die Leistung nur kurzfristig (i.d.R. weniger als eine Minute) aufrechterhalten werden. Für die Erbringung der der Wettkampfsituation entsprechenden Leistung hat die Fähigkeit, über anaerobe Verstoffwechselung zusätzlich kurzfristig Energie bereit zu stellen, dennoch eine hohe Bedeutung (sog. Attacken im Radsport, in jüngster Zeit auch beim 5.000- und 10.000-m-Lauf).

Bedeutung und Voraussetzungen[]

Die anaerobe Schwelle hat durch Leistungstests zur Ermittlung der aeroben Ausdauerleistungsfähigkeit bei Sportlern eine große Bedeutung erlangt. Es wird davon ausgegangen, daß bei zweckadäquater Ermittlung des Watt-Wertes (Output, an der Tretlagerachse gemessen) an der Schwelle der Leistung entspricht, die der Athlet über einen längeren Zeitraum, d.h. mindestens eine halbe Stunde, aufrechterhalten kann. Es handelt sich also um ein Maß für die Ausdauerleistungsfähigkeit des Sportlers. Hierzu siehe den Abschnitt „Die Bedeutung der (individuellen) anaeroben Schwelle in der Leistungsdiagnostik“.

Zunächst müssen aber bestimmte grundlegende sowie auswertungstechnische Voraussetzungen gegeben sein, um für die Ermittlung dieser Leistung erforderliche Relevanz und Genauigkeit zu liefern:

Physiologische Grundvoraussetzungen der Validität von Laktattests[]

Grundvoraussetzungen für die Gültigkeit (Validität) von Tests dieser Art sind:

  • Existenz einer über längere Zeiträume in Grenzen stabilen Ausdauerleistungsfähigkeit: Tatsächlich schwankt die Höchstleistung eines Athleten – es gibt eine „Tagesform“. Es läßt sich aber nachweisen, daß die Schwankungen, die wir registrieren, tatsächlich auf objektive und subjektive Faktoren zurückzuführen sind, die sich analysieren und benennen lassen. Die Ausdauerleistungsfähigkeit ist also tatsächlich in engen Grenzen stabil, ihr Niveau wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst, u.a. durch Trainingsarbeit und das Absolvieren von Wettkämpfen positiv, durch Trainingsrückstand - aber auch Übertraining negativ.
  • Abhängigkeit der Ausdauerleistungsfähigkeit vom Niveau der aeroben Mobilisation: Für eine langandauernde Energiebereitstellung kommen ausschließlich die aeroben Energiequellen in Frage. Dies sind: Die Oxidation von Fettsäuren und die vollständige Oxidation von Kohlenhydraten zu CO2 und Wasser. Beide Prozesse sind von Sauerstoff abhängig, der je nach Zustand des Herzkreislaufsystem (Herzzeitvolumen), des Kapillarisierungsgrades der Gefäße in der Arbeitsmuskulatur, der Ausstattung der Muskelzellen mit Mitochondrien und der erforderlichen Enzyme unterschiedlich schnell herbeigeschafft und verstoffwechselt werden kann. Der Sauerstoffverbrauch gilt daher bei Ausdauerleistungen als Maß der „inneren Arbeit“, die der Sportler verrichtet (im Unterschied zur äußeren Arbeit im physikalischen Sinne, s. auch Wirkungsgrad).
  • Deutliche Änderung der Steigung der Laktat-Leistungs-Kurve in einem bestimmten Punkt: Um aus der Kurve, die durch Abtragen der Leistungswerte auf der X-Achse und der Blut-Laktat-Konzentrationen auf der Y-Achse entsteht, eine bestimmten charakteristischen Punkt herauslesen zu können, muß die Steigung dieser Kurve sich ab diesem Punkt sehr deutlich von der anfangs in den meisten Fällen ebenfalls bestehenden, moderaten Steigung („Supermarktkasseneffekt“, vgl. oben) unterscheiden.

Auswertungstechnische Voraussetzungen der Validität von Laktattests[]

  • Der „Knick“ muß real existieren und nicht durch das Verfahren hervorgerufen sein: Der Test wird in Stufen durchgeführt. Als Ergebnis liefert er zunächst einmal 6 bis 10 Punkte, die Laktatwerte bei den einzelnen Messungen (z.B. bei 120, 150, 180, 210, 240, 270, 300 Watt). Verbindet man nun die Punkte durch Linien und liegt nun der Knick bei 240 Watt, dann kann der „wirkliche Knick“ überall zwischen 210 und 270 Watt liegen. Außerdem könnte es sein, daß, wenn man wesentlich mehr Punkte erheben würde, überhaupt kein deutlicher Knick erkennbar wäre. In diesem Falle wäre der Knick ausschließlich durch das Verbinden der Punkte hervorgerufen worden. Inzwischen stehen ausreichend valide mathematische Auswertungsmethoden zur Verfügung und diese sind in die entsprechende Auswertungssoftware eingegangen.
  • Verfälschungen durch die Dauer des Tests sowie durch äußere Bedingungen (Hitze im Raum, schlechte O2-Versorgung usw.) müssen ausgeschlossen sein.

Die Bedeutung der (individuellen) anaeroben Schwelle in der Leistungsdiagnostik[]

Festgestellt wird die Leistung an der (individuellen) anaeroben Schwelle durch einen stufenweisen Belastungstest verbunden mit mehreren Blutproben (Ohr). Durch Aufzeichnung der Kurve ist eine Bestimmung der iANS möglich: Der starke Anstieg der Laktat/Leistungskurve signalisiert hier, dass der Organismus den „steady state“ nicht aufrechterhalten konnte. Eine näherungsweise Bestimmung ist auch unblutig über ein Herzfrequenz/Leistungs-Diagramm möglich: Ab der individuellen anaeroben Schwelle sinkt die Steigung der Herzfrequenz bei zusätzlicher Belastung (Knick in der Kurve). Bekannt ist in diesem Zusammenhang der Conconi-Test.

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